Rückblende 2016:

Ein Moment Glückseligkeit

 

Mit der 8. Ausgabe unseres Festivals im vergangenen Jahr sind wir gleich doppelt umgezogen: von dem bisherigen November-Termin in den Frühling, und vom "Gotischen Saal" in Kreuzberg ins "City Kino Wedding".

 

Genauso wie wir selbst, waren auch diejenigen, die uns in den 'hohen Norden' gefolgt sind, durch die Bank begeistert von der freundlichen Weitläufigkeit des Gebäudes, der geschwungenen Wandeltreppe hinauf ins Kino, den großen Glasfenstern hinaus ins Frühlingsgrün. Im "City Kino Wedding" haben wir endlich Platz – auch für Stände aller Art. Nun kann man sich auch zwischen den Filmen wunderbar bei uns aufhalten und ins Gespräch kommen.

 

Es gab einen Abend während dieses 8. Festivals, da überkam mich das Glücksgefühl, angekommen zu sein am Ziel dieses Festival-Projekts: mitzuerleben, dass spontane 'Kernschmelze', beglückende Gemeinschaftserfahrungen bei uns tatsächlich gelingen, dass es tatsächlich so schön sein kann.

 

Am Samstagabend hatten wir – im Rahmen unseres indischen Schwerpunkts - einen Film über Krishna Das gezeigt, einen amerikanischen Virtuosen des Kirtans (Kirtans und Bajans sind einfache Gesänge, die vor allem in Ashrams gesungen und oft stundenlang wiederholt werden). Für das anschließende Gespräch hatten wir Olaf Thaler von der Hindu Gemeinde Berlin eingeladen, der eine jungen Kirtanspielerin mitbrachte.

 

Olaf beantwortete einige Fragen zu Kirtans, Bajans und ihren Platz in der spirituellen Praxis der Hindus, griff dann zum mitgebrachten Saiteninstrument und fing an zu singen. Schon das war überraschend: wie selbstverständlich, wie souverän er vom Modus 'Sprechen / Berichten' in den Modus '(spirituelles) Singen' wechselte. Bajans zu singen fühlte sich plötzlich wie etwas völlig Normales an, und nach und nach sangen oder summten immer mehr Leute aus der Runde mit. Dann reichte Olaf das Instrument weiter an die junge Frau an seiner Seite - und als die zu singen anfing, da war's um mich und die meisten anderen im Raum geschehen.

 

Wo vorher Olafs sonorer Bariton den Raum gefüllt hatte, war plötzlich ein Engel unterwegs, so rein, so klar, so präzise – und so hoch droben, dass man mit dem Herzen kaum noch hinkam. Dann zog eine andere junge Frau weiter hinten auch noch eine Zimpel aus der Tasche, und bald gab es, so kam's mir vor, niemanden mehr im Raum, der nicht auf seine oder ihre Weise etwas zum gemeinsamen Klangteppich beisteuerte.

 

Als das letzte Stück zu Ende kam, blieb es still – minutenlang. Es war eine wache, gespannte, eine heilige Stille, an die niemand zu rühren wagte. Wir wussten, dass wir gerade etwas Außerordentliches erlebt hatten. Nur ein paar Minuten, aber das hatte gereicht: Die Tür stand offen. Plötzlich war uns wieder bewusst, dass es geht und wie es geht: das andere, das glückliche, das erfüllte Leben. Ein paar Minuten lang hatten wir von dem gekostet, wozu wir Menschen fähig sind. Wer solch einen Abend miterlebt, dem kann diese Erfahrung und damit die Gewissheit dessen, was längst möglich ist, niemand mehr nehmen.

Kraft Wetzel

Berlin, im Januar 2017